Unser Freundesbrief - im Winter 2019

Unser Freundesbrief - im Winter 2019

Sehend werden…

Ich sehe was, was Du nicht siehst… So heißt es in einem bekannten Kinderspiel. Sehend zu werden, ist für unser ganzes Leben wichtig. „Sehen“ heißt etwas „wahrnehmen“. Was sehen wir in einer Situation? Wie nehmen wir sie wahr? Wieviel sehen wir? Wir werden sehend, indem wir Lernen. Dabei geht es weniger um auswendig gelernte Informationen, als darum Zusammenhänge zu entdecken und Erfahrungen, Praxis und Theorie zu reflektieren und tiefer zu verstehen. Über Bildung finden wir neue Kategorien, Strukturen, Sprache ein tieferes Situationsverständnis entsteht. „Sehen“ füllt Situationen mit Bedeutung und Sinn. Der Unterschied zwischen einem Neuling und einem Meister besteht darin, dass der Meister eine Situation „deuten“ kann, in ihr Be-deutung und Sinn erkennt. Einem Neuling erscheint dieselbe Situation Bedeutungs-los und Sinn-los. Oder schlimmer, er deutet sie falsch.

Eine erfahrene Hebamme geht an einem Inkubator vorbei, in dem ein schlafendes, frühgeborenes Baby liegt. Es ist nicht ihre Station, aber sie sieht sofort, dass etwas nicht stimmt. Niemand sonst hatte etwas Ungewöhnliches bemerkt. Sie informiert gleich den Arzt. Noch bevor dieser eintrifft, verschlechtert sich der Zustand des Babys dramatisch. Alarm wird automatisch ausgelöst. Der Arzt stellt eine schwere Blutvergiftung fest, die gerade noch rechtzeitig aufgehalten werden kann. Viele hatten das Baby gesehen, dennoch „sah“ nur eine Person, dass sich etwas Gefährliches entwickelte.

Heute haben wir viele Hilfsmittel, die unsere Sicht unterstützen. Wenn unsere Augen schwächer werden gibt es Brillen. Bei Anbruch der Dunkelheit haben wir Nachtsichtgeräte. Wenn wir über den Horizont hinaus sehen wollen oder im Nebel navigieren müssen, hilft uns das Radar. Um über unsere Erde hinaus zu sehen, schickte NASA 1990 das Hubble-Teleskop in den Weltraum. Dennoch ergab das teure Gerät nur ein verschwommenes Bild. Nicht gut, wenn man entfernte Sterne beobachten möchte! Der 2,4m große Spiegel war extrem präzise, aber um zwei Tausendstel eines Millimeters falsch geschliffen worden. Mit viel Forschung und Arbeit konnte die Abweichung mit drei Nachrüstungen im All korrigiert werden. Schließlich entstanden die scharfen Bilder des Weltalls, die zu vielen neuen Einsichten geführt haben.

Genauso kann Bildung unseren Blick, unsere Wahrnehmung schärfen, damit wir Zusammenhänge erkennen und dadurch handlungsfähig werden. Der Blick auf die gleiche Situation wird auf einmal mit neuer Bedeutung gefüllt. Austausch mit anderen und die Reflektion über Theorien und Erfahrungen können Klarheit in verschwommene Umstände bringen. In undurchsichtigen Situationen nehmen wir etwas wahr und erkennen auf einmal Zusammenhänge hinter der Komplexität. Lernen schärft unsere Sinne.

In manchen Situationen müssen wir aber mit mehr als einem Auge oder einer Perspektive sehen, um ein ausreichendes Bild zu bekommen. Bei einem Ausflug in die Berge kann uns eine einfache Karte oder ein Satellitenbild vieles sagen. Aber erst die topographische Karte zeigt uns, wie viel und wie steil es bergauf gehen wird. Besser wäre es auch den Wetterbericht zu konsultieren, und der Kalender zeigt uns, ob wir auf dem Weg in die Berge mit Staus, vielen anderen Besuchern oder geschlossenen Restaurants rechnen müssen.

In unserem Leben sind wir auf Gottes Perspektive angewiesen. Jesus ist es, der uns die Augen öffnet und uns sehend macht. „Was möchtest du, dass ich für dich tun soll?“ fragt Jesus Bartimäus in Markus 10. „Ich möchte sehend werden!“ Daraufhin heilt Jesus seine Augen. Zu Weihnachten feiern wir ein besonderes „Sehend-werden“, denn Gott hat sich so offenbart, dass wir ihn, wörtlich, sehen konnten. Wir haben seine göttliche Herrlichkeit gesehen! (Joh 1:14). Auch hier ist die Frage: „Wie tief haben wir erkannt?“

Sehen zu lernen ist in der Regel ein Prozess. Vom Neuling bis zum Meister geht man traditionell von 10.000 Stunden Arbeit aus. Hubble brauchte drei maßgeschneiderte Nachrüstungen, über 16 Jahre, bis die, eigentlich von vorn herein angelegte, Klarheit erreicht wurde. Auch Bildung, Lernen und innerliches Wachsen brauchen Zeit. Aber es ist spannend, bereichernd und lohnt sich!

An der AWM sind wir froh und begeistert, ein Ort sein zu dürfen, an dem Jesus uns auf vielfältigen Wegen „sehender“ werden lässt. Ein geschärfter Blick kann anderen eine große Hilfe sein und uns selbst eine große Freude! Neue und wachsende Perspektiven, Einsichten, und Klarheiten wünsche ich uns allen! Am allermeisten aber eine zunehmende Tiefe in der Wahrnehmung des Wesens und Wirkens Jesu unter uns. Es lohnt sich sehend zu werden, denn Er ist das Licht der Welt! (Joh. 8,12)

Gesegnete Weihnachten!

Peter Westphal
Im Juni 2019 übernahm Peter Westphal die Leitung der AWM in Korntal. Dr. Westphal stammt ursprünglich aus Norddeutschland und verbrachte 30 Jahre mit mehreren Missionsgesellschaften in Asien. Die Fragen, wi ...
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11.12.2019