10 Gedanken zur Flüchtlingskrise
Viele Menschen sind angesichts der hohen Migration von Menschen aus anderen Kulturen und Religionen besorgt um die christlichen Wurzeln und Werte unserer Gesellschaft. Sie bringen das in Gesprächen – auch innerhalb der Gemeinde – zum Ausdruck.
„Angst ist ein schlechter Berater“, heißt es. Allerdings gilt auch: „Angst ist ein lebenswichtiger Indikator!“ Darum brauchen wir eine sachliche, hassfreie Diskussion. Nachfolgend möchten wir zehn Anstöße geben, die uns auch im Rahmen unserer Arbeit mit EIMI wichtig geworden sind:
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Wir waren Wirtschaftsmigranten (vor allem zwischen 1800 und 1950) – andere haben uns aufgenommen. Aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben Zehntausende unser Land verlassen – darunter eine hohe Anzahl von Christen. Andere Länder haben Raum gegeben. Wenn wir anschauen, wie gerne und lange Deutsche in anderen Ländern ihre Sprache, Lieder, Bildung, kirchliche Traditionen gepflegt haben, könnten wir mehr Geduld für die Integrationsprozesse in unserem Land gewinnen.
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Wir waren Kriegsflüchtlinge – andere haben geholfen. Wie das Volk Israel seinerzeit, haben auch wir (viele Deutsche – ältere Generation) eine historische Erfahrung. Viele von uns wissen, was es bedeutet, Flüchtling zu sein und abgelehnt zu werden. „Ihr kennt die Seele der Fremdlinge, denn ihr wart selbst Fremdlinge“ (2.Mo.23,9). Mein Vater erinnert sich: „Ich weiß nicht, was mehr wehgetan hat: Meine Heimat zu verlieren oder als Flüchtling am neuen Ort abgelehnt zu werden? Ich glaube, die Ablehnung war schlimmer für mich!“ Und dennoch gab es auch viele, die aktiv geholfen haben.
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Wir haben millionenfaches Flüchtlingselend durch Krieg und Vertreibung verursacht – andere haben geholfen.Wir haben als Deutsche die traurige, historische Erfahrung, selbst Verursacher von Millionen von Flüchtlingen zu sein. Und viele Millionen von Menschen haben Hilfeleistung gegeben. Sie waren oft finanziell schlechter gestellt als wir heute. Wir können und dürfen uns jetzt nicht von Kriegsflüchtlingen abwenden.
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Wir als „westliche Welt“ haben Verantwortung für unsere Politik und Mitverantwortung an der momentanen Situation – als Mitverursacher der Destabilisierung in der arabischen Welt – und als wenig verlässlicher Partner in der Bewältigung der Krise „vor Ort“ (versprochene Gelder und Hilfsleistungen kommen nicht). Außerdem verfolgen auch westliche Regierungen ihre eigenen politischen Ziele in der Region. In einer demokratischen Gesellschaft können wir uns als Christen auch nicht herausreden. Hier handeln Regierungen, die wir gewählt haben!
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Wir haben viel Erfahrung darin, aus sozialen Herausforderungen neue gesellschaftliche Handlungsfelder zu entwickeln. Gerade über die missionarische Diakonie haben wir Christen die Gesellschaft verändert (Schulpflicht, Kindergarten, Würde von Behinderten…) und wir haben Standards gesetzt, die von der Gesellschaft übernommen wurden. Jetzt besteht die Möglichkeit, neue Felder der Diakonie zu erschließen. Das Entspricht unseren Wurzeln und Werten!
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Wir sollten in der Gesellschaft und in den Gemeinden die Botschaft verbreiten: Nächstenliebe kostet. Und wir sind bereit, uns zu investieren. Warum nicht offen und ehrlich für die Einführung einer Integrationssteuer werben?!
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Wir müssen lernen zu unterscheiden zwischen muslimischen Menschen und dem Islam als religiös-gesellschaftlichem System mit seinen Strömungen und Strategien. Menschen gilt es im Namen Jesu zu lieben. Religiös-politische Ziele, Strategien und Maßnahmen gilt es zu beobachten, zu diskutieren - und kritischer Widerspruch darf, ja muss ebenso mutig wie sachkundig gewagt werden.
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Religionsfreiheit, die wir in anderen Ländern fordern und wünschen, sollten wir im eigenen Land gewähren. Die Rechte und Freiheiten, die wir als kleine christliche Minderheit in anderen Ländern genießen, z.T. selbst in mehrheitlich muslimischen Ländern, sollten wir auch Menschen anderer Religion in unserem Land zugestehen. Beispiel: Erlaubnis den eigenen theologischen Nachwuchs im Land auszubilden. Allerdings gilt hier wie andernorts, dass Regierungen sich von der friedlichen Ausrichtung solcher Ausbildung überzeugen dürfen. Welche Werte werden vermittelt? Wozu werden junge Männer aufgefordert?
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Wir müssen den Zusammenhang von Identität und Integration klären, um gangbare Wege aufzeigen zu können. Um welche unserer christlich geprägten Werte geht es uns? Wie werden sie von den hier lebenden Bürgern (auch den „schon immer Deutschen“) verwirklicht? Wie passen kulturelle Vielfalt und eine demokratische Grundorientierung zusammen? Können wir Migranten eine klare Vorstellung davon vermitteln, wie genau eine gelungene Integration aussieht? Hier fehlen mir politisch vertretbare Konzeptionen unter uns Christen. Schlagworte alleine helfen nicht.
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Wir dürfen die postmoderne Gesellschaft überraschen mit der Relevanz von Religion und Mission, denn Religion ist für viele Menschen, die jetzt zu uns kommen, der integrative Lebensfaktor. Kirchen verlieren ihre klassische Position, die sie 1500 Jahren hatte. Sie müssen ganz neu definieren, was denn nun „evangelisch“ ist. Die Gesellschaft muss neu lernen, dass Religion für viele Menschen, die jetzt zu uns kommen, der integrative Lebensfaktor darstellt. Es ist für sie selbstverständlich, über Religion zu sprechen und sie zu zeigen. Mission heißt „zeigen, was man liebt“ (F. Steffensky). Damit gehört Mission zum selbstverständlichen Austausch über Lebens- und Sinnentwürfe in einer pluralistischen Gesellschaft.